Die alte Frau mit dem Rollator an der Bushaltestelle
Nach einer wunderschönen und abwechslungsreichen Wanderung sind wir wieder in Davos Dorf angekommen. Ich warte mit den beiden Hundedamen an der Bushaltestelle. Beide liegen gechillt und zufrieden auf dem noch sonnenwarmen Boden.
Eine ältere Frau mit Rollator überquert die Strasse
Auf der gegenüberliegenden Strassenseite nähert sich eine ältere Frau dem Fussgängerstreifen. Sie geht gestützt auf ihren Rollator und hat den Blick auf den Boden gerichtet. Am Fussgängerstreifen bringt sie ihr Gefährt in eine günstige Position, um im geeigneten Moment die Strasse zu überqueren.
Ihr Blick fällt auf die Hunde und ihre Ausstrahlung verändert sich
Sie hebt ihren Kopf und schaut zuerst nach links, dann nach rechts und auf einmal strahlt sie über das ganze Gesicht. Sie hat die beiden Hundedamen entdeckt, die gerade ein Nickerchen machen. Sie schaut zu uns rüber, ihr Körperhaltung ist auf einmal ganz verändert. Sie steht aufrecht, hebt die Hand und winkt uns zu. Sobald die Strasse frei ist, schiebt sie ihren Rollator in einem flotten Tempo direkt auf uns zu.
Sie tritt mit den Hunden in Kontakt und umgekehrt
Ob sie den Hunden guten Tag sagen darf. Ihre Frage wäre gar nicht nötig gewesen. Die beiden Hundedamen haben sich bereits erhoben und bewegen sich freudig auf die Frau zu, als ob diese eine alte Bekannte von uns wäre.
Die Frau lässt ihren Rollator los, was in mir im ersten Moment eine kleine Schreckreaktion auslöst: «Hoffentlich fällt sie nicht um, wenn die Hunde sie anschubsen.» Von wegen – die Frau steht aufrecht wie ein Baum und die Hunde schmiegen sich an ihre Beine. Kein Schubsen und kein Drängeln, sondern eine sehr sanfte und vorsichtige Kontaktaufnahme durch die zwei Hundedamen.
Wir kommen mit der Dame ins Gespräch
Die betagte Frau beginnt zu erzählen, während sie die Hunde streichelt. Sie habe ihr Leben lang Hunde gehabt, grosse Hunde derselben Rasse, mit denen sie lange Wanderungen in den Bergen unternommen habe. Vor zwei Jahren sei es ihr gesundheitlich plötzlich nicht mehr gut gegangen und sie habe ins Altersheim umziehen müssen. Gottseidank sei ihr sechzehnjähriger Hund einige Wochen vorher gestorben. Sie hätte niemanden gewusst, der für den Hund hätte sorgen können. Das wäre für sie so schwierig gewesen, wenn sie ihn in ein Tierheim hätte geben müssen. Diese Aussage stimmt mich sehr nachdenklich.
Die Frau und die zwei Hunde bilden eine Einheit
Ich höre ihr zu und nehme wahr, wie sehr die Frau mit den Hunden in Kontakt ist. In diesen paar Minuten haben die drei zusammen einen Raum kreiert, der voller Innigkeit und Freude ist. Die Hunde legen sich nach einer Weile neben der Frau mit ihrem Rollator wieder hin, während wir noch einige Minuten über das Geschenk der tiefen und einzigartigen Freundschaft zwischen uns und unseren Hunden philosophieren.
Wenn Mensch und Tier am selben Ort gemeinsam ihren Lebensabend verbringen könnten
Wie wir einige Zeit später im Postauto sitzen, sinniere ich immer noch über diese berührende Begegnung nach. Und über die Möglichkeit, dass Menschen ihre Tiere mit ins Altersheim nehmen dürften. Möglicherweise ginge es vielen Menschen psychisch und körperlich um einiges besser in den Altersheimen, wenn sie mit ihrem Haustier an der Seite dort wohnen und leben dürften.
Möglicherweise bräuchte es weniger Medikamente, welche die Stimmung aufhellen sollen, und vielleicht auch weniger Beschäftigungsangebote, die oft sehr fern vom bisherigen Lebensalltag der BewohnerInnen und deren Interessen sind.
Genau, das wäre ein komplett anderes Altersheimkonzept
Ein Konzept, bei dem SeniorInnen mit ihren Haustieren leben können und dabei von Fachpersonen unterstützt werden. Ein Altersheim, wo Menschen die Möglichkeit haben, gemeinsam mit ihren tierischen GefährtInnen den letzten Lebensabschnitt zu geniessen.
Vermutlich würden die Kosten für Arztbesuche, Therapien und teure Medikamente sinken, weil die Menschen eine sinnstiftende Aufgabe hätten, nämlich sich – mit Unterstützung – um ihr Haustier zu kümmern. Und sich dabei im Herzen glücklich und zufrieden zu fühlen.
In diesem Sinne:
«Betagten Menschen und ihren Haustieren die Chance geben, gemeinsam und in Würde den Lebensabend zu geniessen, ist aus meiner Sicht ein Grundrecht.»
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