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Machst du einfach oder fragst du schon?

Ein Gedankenexperiment als Einstieg
Wir steigen gleich mit einem kleinen Experiment ein. Du brauchst dazu einzig eine Vertrauensperson. Die Aufgabe lautet:
«Schliesse deine Augen und bitte deine Vertrauensperson, dich durch eure Wohnung zu führen und zwischendurch immer mal wieder ohne Vorankündigung anzuhalten». Dann macht ihr einen Rollenwechsel. Im Anschluss tauscht ihr euch kurz aus, wie es sich jeweils angefühlt hat zu führen oder geführt zu werden.

Im zweiten Durchgang wieder mit Rollenwechsel, nun aber mit Vorankündigung beim Anhalten und beim Losgehen. Natürlich auch, wenn irgendein Hindernis im Weg sein sollte, ist ja logisch. Danach wiederum ein kurzer Austausch. Welche Variante des Geführtwerdens war für dich angenehmer und weshalb?

Versetze dich in die Position deines Hundes
Nun versetzte dich bitte in die Position deines angeleinten Hundes. Ihr geht gemeinsam durch die Stadt, du triffst Bekannte, redest ein paar Worte, dein kluger Hund hat sich höflich hingesetzt. Dann folgt die Verabschiedung, und schon gehst du weiter, ohne deinem Hund das mitzuteilen. Dein Hund wird unsanft über einen Leinenzug oder noch blöder, über einen Leinenruck mitgeschleppt. Wie soll da dein Hund gechillt neben dir sitzen oder liegen, wenn er jederzeit parat sein muss, um dein Weitergehen nicht zu verpassen oder einen Ruck verpasst zu bekommen?

Dein Hund möchte gerne vorgewarnt werden, wenn du weitergehst
Und nein, ich finde nicht, dass meine Hunde dauernd auf mich achten müssen. Vielleicht döst dein wartender Hund gerade vor sich hin oder beobachtet einen Kollegen, der vorbeispaziert, oder hängt einfach seinen Gedanken nach. Wie störend muss das für ihn sein, ohne Vorwarnung aus seiner Hundewelt gerissen zu werden. Und selbst wenn du ihm mitteilst, dass du JETZT in genau dieser Sekunde losgehst, hat er nur wenig Chancen, deiner Aufforderung Folge zu leisten. Schliesslich muss dein verbaler Output zuerst im Hundegehirn angekommen sein und verarbeitet werden.

Die Umwelt ist für unsere Hunde voller toller Ablenkungen

Vielleicht hast du schon beobachtet, wie ein Kind, das an der Hand der Mutter unterwegs ist, plötzlich etwas sehr Spannendes entdeckt. Etwas, dem es gerne mehr Aufmerksamkeit schenken möchte. Die Mutter hat das nicht mitbekommen und schon fliegt das Kind beinahe hinterher. So in etwa geht es unseren Hunden, wenn sie, an der Leine geführt, eine äusserst spannende Schnüffelstelle entdecken und mit tiefer Nase kurz stehenbleiben. Irgendwann ist jede Leine zu Ende und der Hund wird unsanft mitgezogen.
Dasselbe am Fussgängerstreifen, wenn die Ampel von Rot auf Grün wechselt. Hund wartet, Mensch geht zügig los. Der Hals des Hundes dehnt sich in die Länge, bis er merkt, dass sein Mensch schon Mitte Strasse steht. Es gibt unzählige weitere Situationen im Alltag eines Hundes, in denen über seinen Kopf hinweg bestimmt wird, was er als nächstes zu tun hat. Und das nicht mit böser Absicht, sondern aus Unachtsamkeit.

Höflichkeit ist die Mutter aller Dinge, nicht nur die Geduld
Beobachte in den kommenden Tagen, ob du deinem Hund ankündigst, wenn du ihm in sein Ohr schaust, nach dem Schlammbad die Pfoten abtrocknest, ihn hochhebst, sein Brustgeschirr an- oder ausziehst, die Richtung wechselst oder abrupt stehenbleibst. Es gibt keine Handlung mit und am Hund, die du nicht vorher benennst.

Einfach mal so berührt werden? Geht gar nicht.
Ich selbst bin hochallergisch, wenn jemand an mir herumfummelt, ohne mich vorgewarnt zu haben. Oder mich rumschubst oder ungefragt anfasst. Ausser, das Setting ist selbsterklärend wie beim Händeschütteln.
Würde mir eine Verkäuferin im Kleidergeschäft ohne Vorankündigung den Pullover zum Anprobieren über den Kopf ziehen, würde ich mit hoher Wahrscheinlichkeit dumm aus der Wäsche, respektive aus dem Pullover schauen. Oder wenn in der Massage die Therapeutin oder der Therapeut ohne Vorwarnung die Hände auf meinem Körper platziert. Geht gar nicht! Wieso soll es unseren vierbeinigen Freunden bei ähnlichen Handlungen anders gehen?

Welche Fähigkeiten brauchst du für mehr Achtsamkeit im Alltag?
Welche Fähigkeiten brauchen wir, um achtsamer mit unseren Mitlebewesen umzugehen? Ganz sicher die Fähigkeit, sich in ein Gegenüber einzufühlen. Die Bewusstheit für das eigene Denken und Handeln. Mit sich und der Umwelt in Beziehung sein. Die Fähigkeit, innezuhalten und nicht gleich in die Handlung zu gehen. Das Gegenüber im Fokus zu behalten und einzubeziehen. Auch in deine Entscheidungen. Fang doch gleich jetzt mit deinem Liebling auf vier Pfoten an.

 In diesem Sinne:

«Höflichkeit beginnt dort, wo Fremdbestimmung aufhört.»

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