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Situationen sind Erlebnisse, die zu Erfahrungen werden, nicht mehr und nicht weniger

«Devi-Schaf» im Bio-Laden
Während ich meine Einkäufe im Bioladen tätige und gemütlich durch die Regalreihen flaniere, sehe ich im Augenwinkel etwas Weisses durch die Gänge tapsen. «Jetzt haben die doch tatsächlich auch noch ein Bio-Schaf im Laden», denke ich im ersten Moment. Und im zweiten Moment und bei genauerem Hinschauen entpuppt sich dieses Schaf als Hund. Und nein, nicht irgendein Hund, sondern MEIN Hund.

Zwei Lager tun sich auf
«Devi-Schaf» trabt angeregt durch die Gänge, suchend und mit erhobenem Haupt. Wo mag die (also ich) sich wohl versteckt haben? Mein Gott, wie peinlich ist das denn. Obwohl sie definitiv rein « bio» ist (wird ja schliesslich biologisch und artgerecht gebarft), nützt mir das gerade herzlich wenig. Die Welt im Bioladen teil sich innert Sekunden in zwei Lager: die «Devi-Schaf-Freunde» und die «Devi-Schaf-Missbilliger». Und wie das so ist, sieht der innere Zensor nur noch die Missbilliger.

Und meine Haltung ändert sich
Anstatt mich auf die Freunde zu konzentrieren, renne ich mit rotem Kopf und Schweissausbruch meinem Bio-Schaf hinterher. Die Schaf-Freunde haben sich mittlerweile zu einem Grüppchen formiert, um meinem Goldi-Schaf den Kopf zu kraulen. Mit einem freundlichen Lächeln überreicht mir eine Angestellte die Leine und meint, das sei seit langem ihr schönstes Erlebnis auf der Arbeit. Wie cool ist das denn. Sorry, liebe KundInnen auf zwei Beinen, Devi hat halt Charme für 10.
Unter den strengen Blicken der «Devi-Schaf-Missbilliger» erheben wir nun beide unser Haupt und gehen gemeinsam auf die Ausgangstüre zu.

Was Situationen mit uns machen
Sind wir mal ehrlich: Sehr oft geht es in solchen oder zumindest ähnlichen Situationen gar nicht so sehr um unsere Hunde. Es geht doch vielmehr darum, was Situationen mit uns machen. Wie wir uns darin fühlen. Was wir als peinlich erleben oder wo wir stolz auf uns sind. Wo wir am liebsten in einem Erdloch verschwinden würden, oder wo wir gedanklich auf den nächstbesten Stuhl steigen, damit uns alle noch besser sehen können.
 
Erlebnisse sind Erfahrungen, die uns Geschichten über uns erzählen
Auch bei meinem Bioladenschaferlebnis ist es nicht wirklich relevant, ob Devi draussen sitzen bleibt, ob ich die Situation zu schwierig gestaltet habe, ob die Ablenkung zu gross war etc. Das alles sind schlicht und einfach Erfahrungen, die wir machen im Leben und explizit im Zusammenleben mit unseren Tieren.
Viel spannender ist doch, was solche Erlebnisse in uns auslösen. Was für emotionale Muster in uns aktiviert werden.

Denk eine Minute nach, wo du dich vor Kurzem über deinen Hund geärgert hast. War`s bei der letzten Leinenpöblerei mit dem Nachbarshund? Oder war`s auf der Hundewiese, als dich dein Hund trotz Rückruf ignoriert hat? Oder war`s in der Hundeschule, als dein Hund als einziger nicht hat warten können? Oder war`s im Dummytraining, als dein Hund mit dem Dummy im Fang und einem Grinsen im Gesicht an dir vorbeigerannt ist?

Keine Zuschauer weit und breit
So what! Stell dir nun mal vor, dass du in all den Situationen keine Zuschauer gehabt hast. Leinenpöbeln geht auch mit einer Katze. Und der ist es so was von egal, wie du aus der Wäsche schaust. Also, bist du soweit? Spür mal, was das mit dir macht. Vielleicht hast du jetzt gerade ein Lächeln im Gesicht, wenn du dir vorstellst, dass dein Musterknabe auf vier Pfoten sich einen Ausflipper gönnt. Sich auf das Dummy wirft und rumwälzt, anstatt zu dir zu traben. Niemand da, nur ihr zwei. Oder wie er gerade sein Häufchen mitten in die Steinberggasse setzt. Niemand hat`s gesehen, nur ihr zwei. Aufnehmen und gut ist`s. Oder, wenn er den doofen Nachbarshund am Zaun verbellt. Niemand hat`s gehört, nur ihr drei. So what! Du denkst höchstens darüber nach, was du nächstes Mal verändern kannst. Mehr nicht. Keine Schamgefühle, keine Peinlichkeiten. Kein Sauersein auf deinen Hund.
Wäre ich alleine im Bioladen gewesen und mein «Devi-Schaf» wäre suchend durch die Regalreihen getrabt, hätte ich sicher herzhaft lachen müssen. Und mir überlegt, dass die Aufgabe für meine damals junge Hündin einfach noch zu schwierig war.

Du hast es in der Hand, was du aus einer Situation gefühlsmässig machst
Ich möchte dich sehr ermutigen, sogenannte «Fehler» oder peinliche Situationen als das zu sehen, was sie sind: Erfahrungen im Zusammenleben mit unseren Vierbeinern, Erfahrungen in deiner eigenen Erlebniswelt. Du hast es in der Hand, dich zu ärgern, auf den Backenzähnen zu schmunzeln oder auch mal laut in die Welt zu lachen. Egal, wie doof oder wie toll ein Gegenüber euch gerade findet.

Was macht dein Freund auf vier Pfoten, wenn er oder sie eine Irritiation erfahren hat? Einmal quer und längs durchschütteln, ausatmen und den Moment dort lassen, wo er hingehört, weil der sowieso bereits Vergangenheit ist.

 

In diesem Sinne:

«Lass euren Erfahrungsschatz wachsen und gedeihen, egal, wer in deinem Kopf gerade im Zuschauerraum sitzt.»

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