Skip to main content

Wir sind am Ende der Machbarkeit angelangt

«Wir Menschen stehen nicht über der Natur, wir sind Teil von ihr, abhängig und verletzlich» (Sternstunde Philosophie, Einführungstext zu Philipp Bloom: Die Natur schlägt zurück; 2021/01/10).

Die Tiere, unsere Mitgeschöpfe
Wir machen uns über die Erde her, wie wenn wir noch eine zweite in petto hätten. Wir stellen uns über alle unsere Mitlebewesen, unsere Mitsäugetieren. Wir kaufen unsere Mitgeschöpfe und bestimmen über deren Schicksal oder deren Verwendungszweck. Wir kaufen Fleisch in Folien eingeschweisst, ohne darüber nachzudenken, dass eines unserer Mitgeschöpfe auf dieser Erde dafür möglicherweise oder - mit grosser Wahrscheinlichkeit - gelitten hat und für uns sein Leben lassen musste.

Ein Leben in Gefangenschaft ohne Weidegang
Hier, wo ich wohne, gibt es ein grosses Stallgebäude. Es steht ganz alleine inmitten von Feldern. Ab und zu, wenn die Windrichtung passt, rieche ich die Tiere, die dort offenbar gefangen gehalten werden. Die Stallwand schmückt ein Label, tierfreundliche Aufzucht oder so ähnlich.
Ich habe nun 5 Jahreszeiten erlebt, seit wir in dieses Dorf gezogen sind. Und in all den Monaten nie ein einziges Tier draussen gesehen. Es gibt auch kein Weideland, keine Zäune, keine Aussenbereiche, wo sich die gefangenen Tiere hätten die Beine vertreten können.
Wenn ich dort vorbeispaziere, krampft sich jedes Mal mein Bauch zusammen, ich bekomme einen Druck auf der Brust und würde am liebsten die Stalltüren einschlagen und die Tiere in ihre Freiheit entlassen.

Haustiere versus Nutztiere, oder Tiere erster Klasse und zweiter Klasse
Da wir in einem sogenannten Rechtsstaat leben, ist das natürlich verboten. Dieser Rechtsstaat regelt unser Zusammenleben. Dieser Rechtsstaat macht die Gesetze und Verordnungen. Dieser Rechtsstaat definiert, welches Leben lebenswerter ist als ein anderes und er bestimmt unter anderem, was Nutztier und was Haustier ist. So eine Art Zweiklassengesellschaft. Nutztiere darf man (aus-)nutzen oder (be-)nutzen und mit Haustieren schliesst man Freundschaften.

Wo das Geld fliesst
Für Haustiere gibt es mittlerweile einen enormen Absatzmarkt, inklusive allem, was dazu gehört. 2020 hatten 44% aller Haushalte ein Haustier. Davon waren 503 000 Hunde (Quelle: VHN, Verband für Heimtiernahrung; 2020). Mittlerweile sind wegen coronabedingtem Homeoffice die Zahlen nochmals angestiegen, vor allem, was die Anzahl Hunde pro Haushalt betrifft. In einem Bericht habe ich kürzlich gelesen, dass der (illegale) Hundehandel nach dem Handel mit Rauschmitteln zum weltweit umsatzkräftigsten Markt geworden ist.

Bestellung per Mausclick
Ein Click mit der Maustaste und der Welpe kommt in einer Kiste frei Haus geliefert oder die Uebergabe erfolgt über oder nahe an der Grenze auf einem Rastplatz. Die Welpen werden mit Antibiotika aufgespritzt, damit sie bei der Uebergabe einen etwas vitaleren Eindruck machen und werden spätestens nach ein paar Tagen schwerkrank im Tierspital eingeliefert. Mittlerweile gibt es schon den Ausdruck: Coronawelpe, zumindest unter uns Hundefachleuten.

Coronahundehalter, Hundbesitzer auf Zeit
Ich persönlich habe eine Bezeichnung für Menschen, welche sich im Homeoffice Hunde anschaffen, um etwas Abwechslung in ihren tristen häuslichen Alltag zu bekommen: «Coronahundehalter». Das ist die offizielle Variante. Meine inoffizielle behalte ich lieber für mich.

Das Tier als Ware und mit Rückgaberecht
Was ich eigentlich sagen möchte: egal ob Nutztier oder Haustier: der Mensch definiert, wo, mit wem und unter welchen Umständen unsere Mitlebewesen ihr Leben auf diesem Planeten verbringen müssen. Wir definieren die Bedingungen, wir kaufen, wir besitzen, wir geben zurück oder tauschen um, wenn es dann doch nicht ganz passt, das Homeoffice zu Ende ist, die nächsten Ferien anstehen, der neue Partner oder die neue Lebensgefährtin eine Hundeallergie hat oder die Haare in der Wohnung stören.

Tierliebe mutiert zum Egotrip
Es sind nicht selten genau die Menschen, welche sich einen Tierschutzhund holen, weil sie einem ach so armen Tier ein schönes (Homeoffice-) Leben geben möchten. Dabei ist es doch umgekehrt: der Mensch will sich das triste Homeoffice Dasein angenehmer gestalten, mit Kuscheleinheiten und Spaziergängen in der Pause.

Und was, wenn der Hund nicht den Erwartungen entspricht?
Was aber, wenn der neue Welpe das Homeoffice mit Durchfall verschmutzt, das feine Essen wieder hergibt, plötzlich apathisch in seinem Körbchen liegt, anstatt lustig durchs Homeoffice zu rennen um Balli zu holen oder in der Pause zum Schmusen aus diversen Gründen nicht zur Verfügung steht?

Und die Kosten in die Höhe schnellen?
Mittlerweile türmen sich die Rechnungen vom Tierarzt oder Tierspital, der süsse Welpe wird zum Kostengau, obwohl er doch beim Kauf ein Schnäppchen war. Der Kleine wird zur Last, derer man sich unbedingt entledigen muss. Dafür sind ja die Tierheime zuständig. Oder man gibt den Hund zurück. Ein etwas schwierigeres Unterfangen, wenn der Transportlastwagen nicht mehr auf der Raststätte steht und die Händler wieder in der Anonymität des Internets verschwunden sind.

Hunde nach Gebrauch fachgerecht entsorgen
Mir graut davor, wenn die Grenzen wieder offen sind und die Menschen im Internet nicht mehr Hunde, sondern Reisetickets kaufen. Ein sicher lukrativer neuer Geschäftszweig wäre, mit dem Kauf eines Flugtickets gleich ein Rückgabegutschein für den Hund zu garantieren. So eine Art Dienstleistung: fliegen Sie mit uns in den Urlaub, wir entsorgen ihren Hund fachgerecht.
Brutal denkst Du? Schau dich um, informier dich selber über die Qualzuchten und Welpenfabriken, die Pseudotierschutzorganisationen. Und auch ueber die Haltung von den sogenannten Nutz-Tieren. Das alles ist an Grausamkeit gegenüber unseren Freunden und Mitbewohnern dieser Erde kaum zu übertreffen.

An dieser Stelle nochmals das Anfangszitat:
«Wir Menschen stehen nicht über der Natur, wir sind Teil von ihr, abhängig und verletzlich»

Es ist fünf nach zwölf
Es ist leider schon fünf nach zwölf; wir stehen AUF der Natur, trampeln auf den Bedürfnissen und Grundrechten unserer Mitgeschöpfe rum, er- schöpfen Mutter Erde und tun so, als ob wir die Erde, genauso wie die Hunde nach Corona, wieder umtauschen können. Die Machbarkeit ist an ihren Grenzen angelangt. Und irgendwann holt sich die Natur zurück, was wir ihr genommen haben.

 

In diesem Sinne:

«Die Natur wird sich das holen,was wir ihr genommen haben.»

  • Aufrufe: 48